Mehr Information, weniger Panik

Franz Alt (Jahrgang 1938), Journalist, Reporter und Buchautor. Bekannt wurde er insbesondere durch das politische Magazin „Report“.

Fotos Hanno Keppel

Strompreis-Schock! Strompreis-Irrsinn! Strom-Wut! Wer die Nachrichten dieser Tage verfolgt, bekommt leicht den Eindruck, als sei die Förderung erneuerbarer Energien ein unbezahlbarer Luxus auf Kosten der Bürger. Der Journalist und Autor Franz Alt widerspricht und vermutet hinter den markigen Schlagzeilen eine gezielte Kampagne.

AFACE: Herr Alt, können wir uns das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und den Ausstieg aus der Kernenergie überhaupt leisten?

FRANZ ALT: Natürlich können wir das. Denn wenn wir ehrlich sind, steht die aktuelle Strompreiserhöhung doch in keinem Verhältnis zur aktuellen Debatte in Teilen der Medien. Schließlich sprechen wir über Mehrkosten von gerade mal fünf Euro im Monat für eine durchschnittliche Familie. Das dürften die meisten Haushalte kaum bemerken.

AFACE: Warum gibt es dann diese Hysterie in Teilen der Medien? Schließlich steigen die Energiekosten für Strom, Gas, Heizöl und Benzin seit Jahren kontinuierlich, ohne dass dies jedes Mal solche Wellen geschlagen hätte.

FRANZ ALT: Die aktuelle Debatte hängt natürlich auch mit dem 2011 beschlossenen Atomausstieg zusammen. Jede große Veränderung ruft zunächst auch die Kräfte des Alten auf den Plan. Und die machen sich aktuell lautstark bemerkbar. Immerhin drohen den großen Energiekonzernen durch die Konkurrenz der regenerativen Energien hohe Verluste. Es geht also bei der aktuellen Debatte nicht um eine Entlastung der Verbraucher, sondern ausschließlich darum, über das Preisargument die Energiewende und das Erneuerbare-Energien-Gesetz zu kippen. Der Zeitpunkt dazu ist günstig, denn immerhin steht 2013 die nächste Bundestagswahl an, da lässt sich relativ leicht Stimmung machen.

AFACE: Das Interesse der großen Energiekonzerne ist nachvollziehbar. Aber wieso führt das gleich zu diesem gewaltigen Echo in den Medien?

FRANZ ALT: Das hängt auch mit unseren Politikern zusammen, denen insgesamt der Mut und die Bereitschaft fehlen, die Bürger über die tatsächlichen Zusammenhänge aufzuklären. Wer ehrlich ist, der muss den Menschen sagen, dass die Energiewende zwar Geld kostet, dass die Folgekosten eines ungesteuerten Klimawandels aber rund zehn Mal höher wären! Und würde man beim Atomstrom die Kosten für die Endlagerung und die Versicherung mitberechnen, dann würde die Kilowattstunde glatte zwei Euro kosten! Allein für die Räumung des einsturzgefährdeten Atommülllagers in Asse werden nach heutigen Schätzungen 3,7 Milliarden Euro benötigt! Diese gewaltigen Mehrkosten werden allerdings stillschweigend über die Steuer finanziert und gar nicht als Subvention kenntlich gemacht. Den Menschen wird suggeriert, Atomstrom sei günstig.

AFACE: Es scheint, als hätten die großen Energiekonzerne einen ziemlich starken Einfluss auf die Meinungsbildung im Land ...

FRANZ ALT: Ja, das ist sicher richtig. Aber dennoch ist es gelungen, die Energiewende und den Atomausstieg gegen größte Widerstände durchzusetzen. Parallel dazu erlebe ich eine immer größere Bereitschaft von Stadtwerken oder Unternehmen, im Bereich Energien neue Wege zu gehen. Nach der Katastrophe in Fukushima hat zum Beispiel Siemens erklärt, komplett aus dem Atomgeschäft aussteigen zu wollen. Das sind doch hoffnungsvolle Zeichen!

AFACE: Dennoch werden immer wieder Zweifel laut, ob sich der Atomausstieg bis zum Jahr 2022 tatsächlich realisieren lässt. Wie schätzen Sie die Situation ein?

FRANZ ALT: Der Ausstieg wäre nach meiner festen Überzeugung auch schneller möglich. Selbst das Umweltbundesamt geht in seinen Berechnungen von 2017 als realistischem Datum aus. Um vollständig auf Atomstrom verzichten zu können und gleichzeitig eine weitere Senkung des CO2-Ausstoßes zu erreichen, ist allerdings noch einiges zu tun. Dabei setze ich auf ein intelligentes Zusammenspiel der drei großen „E“, also Energieeffizienz, Energieeinsparung und erneuerbare Energien. Ein wichtiger Aspekt ist dabei die Reduzierung des Energiebedarfs für Gebäude.

AFACE: Greift die aktuelle Energieeinsparverordnung (EnEV) hier schon weit genug, um den Energiebedarf für Gebäude in notwendigem Umfang zu reduzieren?

FRANZ ALT: Nein, es müsste deutlich mehr getan werden. Immerhin ist es heute problemlos möglich, Neubauten als Passivhaus oder sogar als Nullenergiehaus zu realisieren. Eine weitaus größere Rolle spielt allerdings der Altbaubestand. Schließlich stehen den jährlich etwa 170.000 Neubauten in Deutschland rund 17 Millionen Bestandsgebäude gegenüber. Und davon werden aktuell nur ein Prozent pro Jahr energetisch saniert. Um die selbst gesteckten Klimaziele der Bundesregierung bis 2050 zu erreichen, wäre aber eine Quote von drei Prozent nötig. Ich hoffe deshalb, dass Bundestag und Bundesrat demnächst endlich eine Einigung zur geplanten Steuervergünstigung bei der Altbausanierung finden.

AFACE: Dennoch wird auch das Thema Wärmedämmung von Gebäuden neuerdings in vereinzelten Berichten grundsätzlich in Frage gestellt. Sehen Sie hier eine ähnliche Stimmungsmache wie bei der Förderung für Solarenergie?

FRANZ ALT: Das enorme Einsparpotenzial durch effiziente Fassadendämmsysteme in Kombination mit modernen Fenstern und moderner Heizungstechnik ist durch zahlreiche wissenschaftliche Studien und nicht zuletzt durch hunderttausende Heizkostenabrechnungen in der Praxis belegt. Und immer bessere Systeme werden den Wirkungsgrad weiter optimieren. Aber ähnlich wie beim Thema Solarenergie gilt auch hier, dass die alte Energiewirtschaft wenig Interesse daran hat, dass der Energiebedarf in Deutschland weiter sinkt. Denn nur gleichbleibender oder steigender Verbrauch garantieren den Unternehmen satte Gewinne. Ein weiteres gutes Beispiel dafür ist das 1-Liter-Auto, das leider nicht auf der Straße fährt, sondern lediglich im Museum zu bestaunen ist. Was für ein Irrsinn! Leider hat die alte Energiewirtschaft hervorragende Kontakte insbesondere zur Boulevardpresse. Und sie nutzt diesen Einfluss, um bei neuen Entwicklungen immer wieder auf die Bremse zu treten und das Alte zu verteidigen. Und das manchmal auch gegen objektive Fakten!

AFACE: Wäre es dann nicht gerade eine Aufgabe der Medien, hier differenziert zu informieren?

FRANZ ALT: Mehr Information, weniger Panik, das würde ich mir auch wünschen. Aber manche Journalisten sind ähnlich wie viele Politiker mehr an Quoten und Auflagen interessiert und blenden langfristige Entwicklungen und hin und wieder auch erwiesene Tatsachen aus. Hinzu kommt, dass gerade komplexe technische Themen aufwändige eigene Recherchen erfordern. Doch dafür bleibt häufig keine Zeit, so dass immer öfter nur noch abgeschrieben wird. Gott sei Dank gibt es aber auch viele positive Beiträge, die sehr differenziert über die Energiewende, über Solarstrom und auch über das Thema Wärmedämmung berichten. Und insgesamt habe ich ohnehin die Erfahrung gemacht, dass sich die Fakten am Ende durchsetzen und die stärkste Lobbyarbeit irgendwann ins Leere läuft.

AFACE: Sind Verbraucher nach Ihrer Einschätzung bereit, Mehrkosten für eine umweltfreundlichere Energieversorgung zu akzeptieren?

FRANZ ALT: Wenn sie ausreichend informiert sind, dann sind die Menschen durchaus bereit, höhere Energiepreise zu bezahlen. Wichtig dabei ist allerdings, die Ursachen und Folgen des Klimawandels zu erklären und aufzuzeigen, wie die weitere Nutzung fossiler und atomarer Energie unsere Lebensgrundlagen zerstört. Zu dieser Wahrheit gehört, dass der Treibhauseffekt immer mehr Gebiete der Erde unbewohnbar machen wird. Dazu gehört, dass durch unseren rücksichtslosen Umgang mit der Schöpfung Tag für Tag 150 Tier- und Pflanzenarten von diesem Planeten verschwinden. Bedenkt man, dass die Natur etwa 30.000 Jahre braucht, um eine Spezies hervorzubringen, dann wird klar, dass es so nicht weitergehen kann. Unabhängig davon müssen wir davon ausgehen, dass die weltweiten Konflikte weiter zunehmen werden, da die Vorräte an Öl und Gas immer knapper werden. Würden wir stattdessen stärker auf Sonne, Wind und andere regenerative Energien setzen, dann wären diese Verteilungskriege um Energie sinnlos. Denn diese Energien stehen uns allen kostenlos zur Verfügung.

AFACE: Dennoch denken viele Menschen beim Thema Energiesparen zuerst an Verzicht ...

FRANZ ALT: Das ist deutlich zu kurz gedacht. Im Gegenteil, wer seine Ressourcen intelligent und verantwortlich nutzt, der wird einen deutlichen Gewinn an Lebensqualität feststellen. Abgesehen davon gibt es doch letztlich gar keine Alternative zur Energieeinsparung und zur Ener giewende!

AFACE: Blicken wir nach vorne. Werden wir es in Deutschland wie geplant schaffen, bis 2050 komplett auf erneuerbare Energien umgerüstet zu haben?

FRANZ ALT: Letztlich bin ich sogar überzeugt davon, dass der Umstieg auch bis 2030 möglich ist. Aber meine Erfahrung lehrt mich, dass in dieser Hinsicht nichts von allein kommt. Umso wichtiger ist es, weiter für Veränderungen zu kämpfen und sich gegen Widerstände zu behaupten.

AFACE: Herr Alt, wir bedanken uns für das Gespräch!