Die Zukunft ist Blau!

Fotos: Hanno Keppel

„Die Farbe Rot ist out, die Zukunft gehört eindeutig Blau“, prognostiziert Professor Harald Braem. Der Archäologe, Psychologe, Designer und Schriftsteller gehört zu den renommiertesten Experten zum Thema Farbe in Deutschland. Vor beinahe 40 Jahren hat er für Milka die „lila Kuh“ erfunden. Inzwischen betreibt er das Institut für Farbpsychologie und analysiert die Bedeutung von Farben im Alltag.

AFACE: Herr Braem, Sie sind in unterschiedlichsten Disziplinen unterwegs – vom Marketing über die Psychologie bis hin zu Design und Kunstgeschichte. Und als Archäologe haben Sie zusammen mit dem bekannten Anthropologen Thor Heyerdahl gearbeitet. Warum haben Sie sich nicht auf einen dieser Bereiche spezialisiert?

HARALD BRAEM: Meine Bewunderung galt schon immer den großen Universalisten wie Alexander von Humboldt oder Goethe. Deshalb habe ich auch versucht, die Dinge aus verschiedenen Sichtweisen zu betrachten. Das zentrale Element, das die verschiedenen Disziplinen miteinander verbindet, ist für mich die Farbe. Immer wieder bin ich fasziniert, welche historischen Verbindungen sich damit ergeben. Ein schönes Beispiel für ist der Umgang mit der Farbe Rot als Träger von Würde: Schon im alten Rom waren die Mitglieder des römischen Senats die einzigen, die rote Togen tragen durften. Und auch heute noch sind die Mitglieder des Obersten Bundesgerichtshofs die einzigen staatlichen Würdenträger in Rot. Dazwischen liegen 2.000 Jahre. Und nichts hat sich verändert!

AFACE: Sie meinen, die Wahrnehmung und die Symbolik von Farbe ist unveränderlich?

HARALD BRAEM: Es gibt natürlich kulturelle und regionale Unterschiede. Aber ein erstaunlich großer Teil von Farbwahrnehmung ist bei allen Menschen mehr oder weniger gleich. Das lässt sich auch durch die Evolution erklären: Früher haben die Menschen nur schwarzweiß sehen können. Erst im Laufe der Zeit kam dann die Wahrnehmung von Farben hinzu. Den Anfang machte dabei das Rot, das mit so existenziellen Dinge wie Feuer und Blut verbunden ist. Entsprechend wird es oft als Signalfarbe eingesetzt. In geringeren Dosen kann Rot aber auchWärme und Behaglichkeit erzeugen. Der Gegenpart zu Rot ist Blau, das wir aufgrund des Himmels und des Meeres grundsätzlich mit Weite und mit Unendlichkeit verbinden. Aufgrund dieser Erfahrungen werden Farben schon seit Urzeiten mit mystischen Begriffen verbunden und in allen Religionen und Kulturen gezielt in kultischen Handlungen eingesetzt.

AFACE: Und diese Verbindungen spielen auch heute noch eine Rolle?

HARALD BRAEM: Ja, aufgrund dieser jahrtausendealten Erfahrungen haben Farben nach wie vor eine große Bedeutung für uns. Das fängt bei der Wohnungseinrichtung und unserer Kleidung an und reicht bis zur Wahl unseres Autos. Farben sind so gesehen visualisierte Gefühle, die unser Innerstes nach außen kehren. Umgekehrt haben sie auch einen großen Einfluss auf unser Nervensystem und können dazu verwendet werden, Stimmungen zu erzeugen, Sympathien zu wecken oder bestimmte Handlungen auszulösen.

AFACE: Sie haben über Rot und Blau gesprochen. Wie verhält es sich mit der Farbe Grün?

HARALD BRAEM: Grün wird weltweit von allen Menschen mit Leben, Wachstum und der Hoffnung auf Nahrung verbunden. Je nach Umgebung, in der man lebt, gibt es allerdings bestimmte Differenzierungen: Die Menschen in Papua-Neuguinea kennen zum Beispiel verschiedene Wörter für 30 bis 40 verschiedene Grüntöne. Der spezielle Lebensraum hat hier also zu einer starken Differenzierung geführt, die sich auch in der Sprache niederschlägt.

AFACE: Gibt es auch Fälle, bei denen sich die Wahrnehmung von Farben bei Menschen verschiedener Kulturkreise prinzipiell unterscheidet?

HARALD BRAEM: Ja, es gibt auch einige auffallende Unterschiede. Bei uns wird Weiß zum Beispiel mit Reinheit verbunden. In Asien gilt Weiß aber als Farbe des Todes, der bei uns wiederum mit Schwarz in Verbindung gebracht wird. Die Ursache für diesen Bedeutungsunterschied ist ein anderes Verständnis von Wiedergeburt und Verlust. Schwarz steht aber nicht nur für Trauer und Verbergen, es kann auch ein Zeichen für Abgrenzung aus Stolz sein – zum Beispiel bei Designern oder Architekten, die sich gerne schwarz kleiden.

AFACE: Welche Konsequenzen ergeben sich aus diesen Analysen für die Praxis – zum Beispiel für die Architektur oder bei der Gestaltung von Räumen?

HARALD BRAEM: Wenn wir uns unsere Städte ansehen, dann stellen wir schnell fest, wie eintönig und unmenschlich es vielerorts ist. Der bekannte Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich hat hier treffend von der „Unwirtlichkeit der Städte“ gesprochen. Mir geht es deshalb darum, durch den Einsatz von Farbe das Zusammenleben der Menschen und ihre Befindlichkeit im Alltag positiv zu verändern. So kann ich zum Beispiel überlegen, welche Farben ich in einem Altenheim oder in einer Arztpraxis verwenden muss, damit sich die Menschen dort wohler fühlen können. Oder wie ich Räume für Kinder mit ADS gestalte. An anderer Stelle kann es dagegen sinnvoll sein, bestimmte Gebäude besser in ihre Umgebung einzubetten und so zum Beispiel eine Landschaft mit einer Fabrik zu versöhnen. Dabei geht es um deutlich mehr als nur um Kosmetik!

AFACE: Sie selbst leben in sehr farbigen Räumen.

AFACE: Ja, wir haben hier überall Lehmputz verwendet und dann geschwemmte Farben eingesetzt, die einen lasierenden Charakter haben. Ich liebe es, wenn sich die Farben im Laufe des Tages unter wechselndem Lichteinfall verändern. Vorsichtig sollte man im Innenraum allerdings mit der Farbe Rot sein, denn zu viel Rot produziert Stress. Wer geistige Arbeit leisten will, der sollte dagegen helle Orangetöne verwenden, das beschwingt!

AFACE: Einen ähnlich großen Einfluss wie in der Innenarchitektur haben Farben auch in der Werbung. Sie selbst haben Anfang der 1970er-Jahre die „lila Kuh“ mitentwickelt – warum Lila und nicht ganz klassisch in Braun?

HARALD BRAEM: Zuerst hatten wir damals den Slogan „Die zarteste Versuchung, seit es Schokolade gibt“ entwickelt. Der Rest kam dann von ganz allein: Lila ist die Farbe der Verwandlung, des Übergangs, der Spiritualität. Die Vermischung von Rot und Blau, vom Körperlichen zum Geistigen. Und die Farbe der Versuchung!

AFACE: Lila ist auch bei Mädchen und bei Frauen sehr beliebt.

HARALD BRAEM: Ja, das entspricht ebenfalls einem archetypischen Muster. Denn bei unseren Vorfahren waren Frauen für das Sammeln von Beeren zuständig und mussten über deren Essbarkeit entscheiden. Aktuell wird diese archaische weibliche Vorliebe für Rosa durch Figuren aus der Werbung wie Barbie oder Prinzessin Lillifee verstärkt. Pippi Langstrumpf ist in diesem Zusammenhang eher ein geschichtlicher Sonderfall aus der Protestzeit der 1960er- und 1970er-Jahre.

AFACE: Die gesellschaftliche Einstellung zu bestimmten Farben unterliegt also bestimmten Moden?

HARALD BRAEM: Ja, auf jeden Fall. Da lassen sich bestimmte Trends feststellen. Out ist aktuell in jedem Fall die Farbe Rot! Rot wirkt aggressiv und springt dem Betrachter entgegen, löst Fluchtreflexe aus. Das wollen die Leute nicht mehr. Firmen, die Rot in ihrem Logo haben, bekommen deshalb inzwischen immer größere Probleme. Ein Beispiel dafür ist die Fast-Food-Kette McDonalds, die bislang mit einem gelben „M“ auf rotem Grund auftrat. Stattdessen gibt es jetzt nur noch ein schwebendes gelbes „M“. Alternativ lässt sich seit einigen Jahren weltweit ein Trend zur Farbe Blau erkennen. Das gilt auch im Bereich Autoneuzulassungen, hier stiegen die Zahlen zuletzt um über 30 Prozent!

AFACE: Wie erklären Sie sich diesen Trend?

HARALD BRAEM: Blau beruhigt und entschleunigt, gleichzeitig steht es für Vertrauen und für Sicherheit. Und danach suchen die Menschen seit einigen Jahren, wie die Untersuchungen nach dem 11. September 2001 zeigen. Ein schönes Beispiel für diesen Trend sind die neuen blauen Uniformen bei der Polizei. Die Modelle lösen die alten grünen Uniformen ab, die in den 1950er-Jahren durch den Modemacher Heinz Oestergaard entwickelt worden waren, um den Polizisten nach den Erfahrungen des Krieges als friedlichen „Förster“ oder „Flurhüter“ erscheinen zu lassen.

AFACE: Neben diesem eher konventionellen, etwas hausbackenen Förstergrün gibt es aktuell aber auch sehr frische Grüntöne wie Limegrün oder Froschgrün. Wie kann eine einzelne Farbe so viele gegensätzliche Emotionen auslösen?

HARALD BRAEM: Das ist vor allem eine Frage des Alters. Denn die Farbwahrnehmung ändert sich im Laufe des Lebens: In der Jugend herrschen helle und poppige Töne vor, später werden die Farben dunkler und gesetzter.

AFACE: Das ist ein interessanter Aspekt.

HARALD BRAEM: Ja, in der Tat. Während die älteren Menschen sich eher tarnen, wollen die Jungen als frecher Frosch durchs Leben hüpfen. Farbe ist letztlich also auch ein wichtiger Faktor, um der eigenen Generation eine Identität zu geben.

AFACE: Herr Braem, wir bedanken uns für das Gespräch!