Die grundsolide und umfassende Ausbildung junger Leute ist der wichtigste Garant für die Qualität handwerklicher Leistungen. Sie auch in Zukunft zu sichern und sich neuen technologischen Herausforderungen zu stellen, das sind für Handwerkspräsident Hans Peter Wollseifer entscheidende Schlüssel für den nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg seiner Branche.
aus: <link unternehmen kundenmagazin-aface ausgabe>Kundenmagazin aface 01.2014
AFACE: Herr Wollseifer, der Meisterbrief werde nicht infrage gestellt, sagte EU-Vertreter Daniel Calleja Crespo gleich zu Beginn der Internationalen Handwerksmesse im März 2014 in München. Waren Sie erleichtert?
HANS PETER WOLLSEIFER: Das ist positiv, dass ein hoher EU-Vertreter in diesem für uns zentralen Punkt klare Worte findet. Aber in Brüssel gibt es viele Player. Wir müssen sicher noch länger intensive Überzeugungsarbeit leisten, bis an unserem Erfolgsmodell Meisterbrief nicht mehr gerüttelt wird.
AFACE: Warum sollte der Meisterbrief unbedingt erhalten bleiben?
HANS PETER WOLLSEIFER: Der Meisterbrief ist für uns das wichtigste Qualitätssiegel überhaupt. Das ist kein falsch verstandenes Traditionsbewusstsein. Nur wer exzellent qualifiziert ist, kann ein Unternehmen durch die extremen wirtschaftlichen und politischen Veränderungen steuern. Unser System ist zukunftsweisend und auch weiterhin ein Garant für volkswirtschaftliche Stabilität. Ohne den Dreiklang Auszubilden de, Gesellen und Meister würde unser Handwerk, würde unsere Wirtschaft nicht so erfolgreich funktionieren.
AFACE: Trotzdem will die EU-Kommission die nationalen Berufsbildungssysteme in Europa auf Wettbewerbsverzerrungen überprüfen lassen.
»Der Meisterbrief ist für uns das wichtigste Qualitätssiegel überhaupt.«
HANS PETER WOLLSEIFER: Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Die Frage ist nur: In welche Richtung soll es gehen? Unser Konzept garantiert im europäischen Vergleich traditionell sehr hohe Ausbildungsstandards. Diese jetzt aufzuweichen, halte ich angesichts neuer wirtschaftlicher und technologischer Herausforderungen, denen wir uns auch im Handwerk stellen müssen, für absolut kontraproduktiv. Im europäischen Ausland beneiden uns vor diesem Hintergrund doch viele um unser duales Ausbildungssystem. Und die wichtigste Säule dafür sind unsere Meisterinnen und Meister. Im Übrigen unterstützen auch viele Kollegen im EU-Ausland strengere Berufszugangsregelungen für zahlreiche Gewerke. Wir setzen deshalb weiterhin selbstbewusst auf unser Ausbildungsmodell.
AFACE: Einer Studie des Deutschen Handwerksinstituts (DHI) zufolge sind mehr als die Hälfte der Gründungen in zulassungsfreien Gewerken nach fünf Jahren wieder vom Markt verschwunden. Sehen Sie sich auch dadurch bestätigt?
HANS PETER WOLLSEIFER: Nicht jede Unternehmensgründung kann zum Erfolg führen. Aber eine Tendenz lässt sich hier bereits erkennen. In den zulassungsfreien Handwerken verfügten 2013 nicht einmal fünf Prozent der Gründerinnen und Gründer über einen Gesellen- oder Meisterbrief. Das führt unweigerlich zu weniger Qualifikation und Qualität sowie zu sinkenden Aus bildungszahlen.
AFACE: Es geht also nicht nur darum, den Bestand des Meisterbriefes an sich zu sichern, sondern um die Zielsetzung, seinen Stellenwert als Voraussetzung für die Unternehmensgründung und Ausbildung in derzeit 41 Handwerksberufen zu festigen?
HANS PETER WOLLSEIFER: Auf jeden Fall. Meisterin und Meister im Handwerk repräsentieren in Deutschland seit jeher einen einzigartigen Typus. Fachkompetenz, Ausbilderqualität und ein Unternehmertum, das von einem hohen Verantwortungsgefühl gekennzeichnet ist, sind die Merkmale. Und das führt im Ergebnis zu nachhaltigen Betriebsgründungen, zu Innovationen und zur Schaffung von qualifizierten Arbeits- und Ausbildungsplätzen. Rund 5,35 Millionen Menschen arbeiten in Deutschland derzeit im Handwerk, 400.000 Lehrlinge erhalten aktuell eine qualifizierte Ausbildung und eine berufliche Perspektive. Damit sind 28 Prozent aller Auszubildenden in Deutschland im Handwerk tätig. Diese Zahlen sprechen doch für sich.
AFACE: Und es könnten sogar deutlich mehr sein. Zahlreiche Ausbildungsstellen bleiben unbesetzt. Was macht es so schwer, junge Menschen für eine Ausbildung im Handwerk zu begeistern?
»Die ausgezeichnete Ausbildung im Handwerk stellt die Weichen für die berufliche Karriere junger Menschen.«
HANS PETER WOLLSEIFER: In der Tat bekommen immer mehr Branchen Schwierigkeiten, Ausbildungsplätze zu besetzen. Das ist allerdings kein spezifisches Problem des Handwerks. Es gibt ganz einfach immer weniger Schulabgänger und – auch das darf man nicht vergessen – einen Trend zu Abitur und Studium. Daran haben auch die Bildungspolitiker Mitschuld, die das Studium als Königsweg propagieren. Insofern sehe ich in Bezug auf das Handwerk bei jungen Leuten eher ein Informationsdefizit über die hervorragenden beruflichen Perspektiven, die ihnen dort geboten werden. Ich sage nur: Wer heute erfolgreich eine Ausbildung zum Kälteanlagenbauer, Elektromaschinenbauer oder Feinmechaniker absolviert, kann sich einen Job bei attraktiven Arbeitgebern zwischen Flensburg und Freiburg aussuchen. Alle Berufe im Handwerk bieten Könnern beste Perspektiven. Die ausgezeichnete Ausbildung stellt die Weichen für die berufliche Karriere.
AFACE: Sind dann nicht die Handwerksbetriebe und Verbände gefordert, noch intensiver um den Handwerkernachwuchs zu werben?
HANS PETER WOLLSEIFER: Natürlich – und das tun sie auch. Zahlreiche Betriebe gehen inzwischen ungewöhnliche Wege, um Auszubildende anzuheuern und zu halten. Zugleich fahren wir eine umfassende Imagekampagne mit der Zielsetzung, die enorme Vielfalt handwerklicher Berufe und Karrierechancen für junge Leute noch mehr in den Blickpunkt zu rücken. Hier sind erste Erfolge messbar.
AFACE: Welche Chancen bietet die Zuwanderung, den Arbeitskräftemangel zu beseitigen?
HANS PETER WOLLSEIFER: Wir haben sehr gute Möglichkeiten, viele Menschen, die zum Beispiel aus Rumänien, Bulgarien und anderen Ländern zu uns kommen, in den Arbeitsmarkt zu integrieren, wenn sie arbeitswillig und arbeitsfähig sind. Ohnehin hat das Handwerk eine sehr gute Willkommenskultur. Bei der Handwerkskammer Köln gehen wir zum Beispiel mit Hilfe einer spanischen Gewerkschaft auf junge Spanier zu. Wir vermitteln Sprachkurse und Praktika, und wenn es passt, erhalten sie einen Ausbildungsvertrag.
AFACE: Das Handwerk hat also keine Probleme mit der Arbeitnehmerfreizügigkeit?
HANS PETER WOLLSEIFER: Die Erweiterung der EU und die Arbeitnehmerfreizügigkeit wurden vor Jahren beschlossen. Wir hatten genug Zeit, uns darauf vorzubereiten. Und wir können auch davon profitieren. Dennoch muss man bei diesem Thema ganz klar differenzieren. Reguläre Arbeit und Ausbildung sind natürlich kein Problem. Aber unsere Betriebe haben auch mit den Schattenseiten zu kämpfen. Was wir definitiv nicht gebrauchen können, sind Zuwanderer, die sich an den Ausfallstraßen der Städte für zwei oder drei Euro die Stunde anbieten. Oder Ausländer, die als Scheinselbstständige ein Gewerbe anmelden und sich dann in Billigkolonnen auf Großbaustellen betätigen. Das kann wirklich niemand wollen und das macht unsere Handwerksbetriebe kaputt – und nicht zu letzt auch unser Sozialsystem.
AFACE: Wie muss man sich das konkret vorstellen?
HANS PETER WOLLSEIFER: In einer beliebigen Großstadt kommt ein Reisebus an. Der erste Weg führt die rund 50 Männer, die von einem Dolmetscher und einem Rechtsanwalt begleitet werden, ins Gewerbeamt, um sich dort anzumelden. Dann folgt die Eintragung bei der Handwerkskammer. Das ist so weit legitim. Doch meist sprechen diese Männer weder die deutsche Sprache noch kennen sie ihre Rechte und Pflichten hierzulande – und werden als Scheinselbstständige zu Dumpinglöhnen auf Großbaustellen missbraucht. Das ist kriminell. Da muss die Finanzkontrolle Schwarzarbeit des Zolls tätig werden.
AFACE: Sind die Kontrollen unzureichend?
HANS PETER WOLLSEIFER: Insgesamt ja. Gerade im Bausektor sollten die Kontrollen gegen Schwarzarbeit deutlich verschärft werden. Sonst haben unsere regulär arbeitenden Betriebe irgendwann keine Chance mehr, gegen diese illegale Dumpingkonkurrenz im Wettbewerb zu bestehen.
AFACE: Kann der beschlossene Mindestlohn helfen, Lohndumping zu verhindern?
»Branchen- und regionalspezifischen Anforderungen wird der flächendeckende Mindestlohn nicht gerecht.«
HANS PETER WOLLSEIFER: Da bin ich sehr skeptisch. Am Bau haben wir seit vielen Jahren tarifliche Mindestlöhne – aber sie werden wie beschrieben unterlaufen. Ohnehin wird der Lohn besser und differenzierter von starken Sozialpartnern verhandelt. Branchen- und regionalspezifischen Anforderungen wird der flächendeckende einheitliche Mindestlohn nicht gerecht. Die Lebenshaltungskosten in Cottbus unterscheiden sich nun einmal deutlich von denen in München.
AFACE: Das Handwerk setzt weiterhin große Hoffnungen auf die Themen Wärmedämmung und Energieeffizienz? Zahlreiche Gewerke sind involviert. Wird die energetische Modernisierung des Gebäudebestandes nach Ihrer Einschätzung im notwendigen Umfang umgesetzt?
HANS PETER WOLLSEIFER: Die umfassende Modernisierung des Wohngebäudebestandes in Deutschland ist im Hinblick auf das tatsächliche Volumen eine Herkulesaufgabe. Einiges hat sich schon getan. Um die angepeilten Klimaziele zu erreichen, müssen wir die Schlagzahl aber nochmals deutlich erhöhen. Mindestens zwei Prozent der alten Gebäude, die Jahr für Jahr enorm viel Energie verschleudern, sollten idealerweise jedes Jahr energetisch auf einen modernen Standard gebracht werden. Von dieser Sanierungsrate sind wir jedoch weit entfernt.
AFACE: Welche Perspektiven ergeben sich speziell für das Malerhandwerk? Zahlreiche Betriebe haben im Bereich der energetischen Modernisierung umfassend Kompetenz aufgebaut.
HANS PETER WOLLSEIFER: Das ist so – und ein gutes Beispiel dafür, wie sich das Handwerk neuen Herausforderungen stellt. Aber nicht nur für das Maler- und Lackiererhandwerk ist die nach meiner Überzeugung zwingend notwendige energetische Gebäudemodernisierung von großer Bedeutung. Insgesamt 30 Gewerke arbeiten in den Bereichen Energiegewinnung und Energieeffizienz, darunter alle Bau- und Ausbauhandwerke.
AFACE: Also keine Energiewende ohne das Handwerk?
»Das Handwerk ist der Ausrüster der Energiewende, sagen wir selbstbewusst.«
HANS PETER WOLLSEIFER: Das Handwerk ist der Ausrüster der Energiewende, sagen wir selbstbewusst. Eines möchte ich aber auch klarstellen: Wir identifizieren uns mit dem Vorhaben, die von EU und Bundesregierung vorgegebenen Klimaziele zu erreichen. Und das nicht nur wegen des großen wirtschaftlichen Interesses des Handwerks. Mehr als 40 Prozent unseres gesamten Energiebedarfs entfallen auf Gebäude. An einer umfassenden Modernisierung führt deshalb kein Weg vorbei, wenn wir Energie sparen und den CO2-Ausstoß verringern wollen. Hier sollten jedoch weitere Anreize geschaffen werden. Deshalb plädieren wir für eine steuerliche Ab setzbarkeit von Investitionen in die Energieeffizienz von Privatgebäuden, von Privatimmobilien. Die KfW hat festgestellt: 1 Euro Förderung sorgt für Investitionen von 8 Euro. Es lohnt sich also, einen Anreiz für Energieeinsparung zu setzen. Denn Energie, die nicht verbraucht wird, muss auch nicht erzeugt werden.
AFACE: Zuletzt haben Sie vor einer weiteren Erhöhung der Energiekosten gewarnt. Auch das ist eine Konsequenz der Energiewende.
HANS PETER WOLLSEIFER: Das ist richtig. Damit stellen wir die Energiewende aber nicht in Frage. Dennoch ist bei der Entwicklung der Energiekosten Augenmaß gefragt. Natürlich möchten wir auch in Zukunft eine bezahlbare Energie. Wir haben teilweise Betriebe, die sehr viel Energie benötigen – Bäckereien, Galvaniseure, Metallbauer. Auch die müssen ihre Produkte weiterhin verkaufen können und ihre Mitarbeiter beschäftigen. Das geht nur, wenn Energie bezahlbar bleibt.
AFACE: Herr Wollseifer, Hoffnung ist das Leitthema dieser Ausgabe von aface. Was vor allem erhoffen Sie sich für die Zukunft des Handwerks?
HANS PETER WOLLSEIFER: Dass in unserer Gesellschaft, in jedem einzelnen Menschen das Verständnis dafür wächst, dass Qualität immer noch von Können kommt. Und dafür brauchen auch unsere Handwerker eine grundsolide Ausbildung, eine umfassende Qualifikation und auch in Zukunft den Handwerksmeister. Ansonsten mache ich mir um das Handwerk keine Sorgen. Nachhaltigkeit, Energien, Gesundheit, Infrastruktur und Mobilität sind die Märkte von morgen – überall dort ist auch das Handwerk vorne mit dabei.
AFACE: Herr Wollseifer, wir bedanken uns für das Gespräch.