Welches Zukunftspotenzial hat Putz in der modernen Architektur? Mit dieser Frage beschäftigen sich Studenten der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst in Hildesheim im Forschungsprojekt „Zukunft Putz“ des Institute International Trendscouting IIT. Erste Ergebnisse präsentierte das Team auf der Messe Farbe, Ausbau und Fassade 2016 in München.
aus: Kundenmagazin aface 01.2016
Keine Frage: Putz ist ein jahrhundertealtes Material, das Oberflächen von Bauwerken eine spezifische Textur verleiht und ihr Erscheinungsbild durch differenzierte Strukturen und die Einbeziehung des Gestaltungsfaktors Farbe bis heute nachhaltig prägt. Putz, wohin man auch schaut. Warum sollte sich daran in Zukunft etwas ändern? Vielleicht gerade deshalb!
Immerhin lässt sich nicht leugnen: Der Anblick jener typischen in Ocker-, Sand- oder Pastelltönen verputzten Ein- und Mehrfamilienhäuser mit klassischer Lochfassade ist oftmals wenig geeignet, beim Betrachter starke Gefühle hervorzurufen. Von diesem Gebäudetypus findet man in unseren Städten, Dörfern und Stadtrandsiedlungen jedoch mehr als genug. Die einen mögen sie logischerweise, die anderen finden sie unspektakulär, aus der Zeit gefallen und langweilig. Die Gruppe Letzterer allerdings wächst. Hier liegt das Problem.
Nicht mehr erste Wahl
„Putz ist bei Bauherren immer häufiger nicht mehr die allererste Wahl und zahlreiche Architekten betrachten das Material ohnehin als Gestaltungsvariante B“, betont Professor Markus Schlegel, der das vom Verband der deutschen Lack- und Druckfarbenindustrie initiierte Forschungsprojekt gemeinsam mit Professorin Meike Weber und Professor Timo Rieke am Institute International Trendscouting IIT leitet. In den zurück liegenden 25 Jahren verzeichne man eine deutliche Entwicklung „eher weg vom Putz“.
Genau genommen sei das sogar eine anachronistische Entwicklung, denn wohl kaum ein anderes Material biete heute mehr Möglichkeiten, Oberflächen innen und außen zu differenzieren. Das Gestaltungspotenzial von Putz sei immens. Genau diese Vielfalt und die Freiräume, die sie schaffe, seien eigentlich gefragt. Grund genug also, die Ursachen dieser Entwicklung näher zu beleuchten und nach Wegen zu suchen, um den Baustoff Putz wieder stärker als zukunftsfähiges Material zu positionieren.
Studie „Zukunft Putz“ als Fundament
Unverzichtbar war zunächst eine intensive Auseinandersetzung mit der Historie. Vergangene Strömungen, Trends, Stile und ihre gestalterischen Charaktermerkmale in der Architektur nahmen die Wissenschaftler genauer unter die Lupe. Erste Ergebnisse präsentierten sie in München. Zahlreiche Materialproben und Schautafeln gaben einen vielfältigen Überblick. „Verputzte Oberflächen waren in der Moderne noch ausschlaggebend für die schillernde und phantasiereiche Farbgebung von Häusern und Siedlungen. Ihre Bedeutung wurde im Laufe des 20. Jahrhunderts jedoch zunehmend durch die neuen konstruktiven Möglichkeiten des Stahl- und Glasbaus und die Weiterentwicklung vorgehängter Fassaden zurückgedrängt“, erklärt Markus Schlegel. Entsprechend hätten sich die Anteile von der massiven Mauer zugunsten der Maueröffnung seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts verändert.
Als weiteren Faktor sehen die Experten eine sich verschärfende Materialglobalisierung. Die Entwicklung effektiverer Produktions-, Planungs- und Bauprozesse habe diesen Prozess zusätzlich beschleunigt und im Ergebnis regionale Traditionen und Werkstoffe verdrängt. Putz sei zwar weiterhin großflächig zum Einsatz gekommen, die vielfältigen handwerklichen Techniken verloren jedoch an Bedeutung. Daraus resultierte für den Werkstoff schließlich ein Imageproblem, so Markus Schlegel.
Putzfassaden mit Imageproblem
Putzfassaden gelten heute zwar als funktionale, kostengünstige und einfach zu realisierende Oberflächen. Das sei grundsätzlich nicht schlecht, die Themen Baukultur und Ästhetik kämen in der Wahrnehmung des Materials jedoch viel zu kurz. Die Energiewende sei vor diesem Hintergrund Fluch und Segen zugleich. Um die Anforderungen der Energieeinsparverordnungen zu realisieren, würden Fassaden wieder mehr geschlossen.
Vielerorts wachse das Interesse an lokalen und authentischen Baustoffen. „Putz hat nach unserer Auswertung allein in den letzten 25 Jahren eine Vielzahl von interessanten und innovativen Produkt-Wettbewerbern für die Gestaltung der Fassade bekommen. Die ästhetische Produktentwicklung für Putze hat sich allerdings nicht an diesen Wettbewerbern orientiert, sondern sich bis heute zu sehr auf die klassischen Körnungen und die teilweise wiederbelebten historischen Oberflächentechniken konzentriert. Innovative Ansätze sind zwar vorhanden, der Blick nach vorne Richtung Zukunft muss jedoch noch vielmehr im Interesse unserer Baukultur stattfinden“, fordert Markus Schlegel.
WorkLab auf Messe „Farbe, Ausbau und Fassade“ in München
Ideen, welche Perspektiven und Szenarien sich entwickeln ließen, wurden auf der Messe im sogenannten WorkLab gesammelt und dokumentiert. Studierende unterschiedlicher Hochschulen sowie Experten aus Architektur, Gestaltung und Handwerk konnten dort aktiv an Scoutings und Monitorings mitwirken, Stellung beziehen und ihre Vorstellungen äußern.
„Viele spannende Anregungen waren dabei“, zieht Markus Schlegel ein positive Bilanz. Nun gelte es, im weiteren Verlauf des bis 2019 angelegten Forschungsprojektes die unterschiedlichen Zukunftsszenarien zu konkretisieren, Handlungsempfehlungen zu geben und Maßnahmen detailliert zu beschreiben. Fest stehe aber wohl bereits heute: Sowohl Architekten als auch Handwerker müssten den Umgang mit Putz neu erlernen, um die Möglichkeiten des Werkstoffs optimal zu nutzen.