Architectural Storytelling

Andreas Hanke, Jahrgang 1962, seit 2000 als Architekt tätig

Wohnraumgestaltung im alpinen Berghaus „Rifugio Capricorn“ in Reit im Winkl.

Breuskesbachsiedlung in Recklinghausen

Auch 96 Jahre nach Gründung des Bauhauses gilt das Postulat der Funktionalen Reduktion als wichtigste Leitlinie der modernen Architektur. Für den Dortmunder Planer Andreas Hanke darf es jedoch gerne etwas mehr sein. Er setzt dieser Entwurfspraxis eine narrative Herangehensweise entgegen, bedient sich aus dem reichhaltigen Fundus der Baugeschichte und setzt damit ganz eigene Akzente.

aus: Kundenmagazin aface 02.2015

AFACE: Herr Hanke, beim Blick auf Ihr Portfolio fällt auf, dass Sie in sehr unterschiedlichen Bereichen tätig sind. Wie kommt ein Architekt dazu, vormittags Konzepte für moderne Stadtquartiere zu entwickeln und nachmittags edle Interiors für Restaurants?

ANDREAS HANKE: Diese Trennung nehme ich gar nicht wahr. Das kommt sicher durch meinen italienischen Vater und meine eher italienische Auffassung des Architekturberufes. Dort trennt man nicht so sehr zwischen innen und außen – auch nicht in der Ausbildung. Das ist in Deutschland anders. Hinzu kommt: Wir sind im Ruhrgebiet und müssen mit den Realitäten vor Ort umgehen und vielfältige Aufgaben lösen. Auch harte Kontraste zwischen oben und unten gehören hier zum Alltag und zum Stadtbild dazu.

AFACE: Ergeben sich auch Überschneidungen?

ANDREAS HANKE: Ja, mein erster Auftrag war 2005 der Umbau eines Kinos aus den 1950er-Jahren und die Einrichtung als neuer Sitz des bekannten Dortmunder Jazz-Clubs „Domicil“. Bei dem Projekt haben wir einen Großteil der vorhandenen Kinoausstattung übernommen und in unsere Gestaltung integriert. Das Konzept funktioniert bis heute. Es folgten dann zahlreiche weitere Aufträge im Interior-Bereich.

AFACE: Woran arbeiten Sie aktuell?

ANDREAS HANKE: Wir entwerfen das Interieur für das Restaurant „Hohoff Two“ in Hagen. Dort wollen wir die Architektur einer alten Tuchfabrik aus den 1930er-Jahren weitgehend erhalten, als Element der Eleganz aber einen von einer feinen metallischen Struktur umgebenen „Golden Cage“ einstellen. Auf diese Weise soll sich eine Überlagerung von zeitgenössischen und authentischen Elementen ergeben. Die grundlegende Idee dahinter ist der Verweis auf Central Station in New York, den meiner Meinung nach schönsten Bahnhof der Welt. Als Hommage an diesen Ort werden wir im „Hohoff Two“ eine amerikanische Bar in Szene setzen, die jeder aus Filmen kennt und die man dort bald real erleben kann.

AFACE: Dieses Spiel mit Zitaten findet sich eigentlich bei all Ihren Entwürfen.

»Ich will Geschichten erzählen, damit sich Menschen mit ihrer Umwelt identifizieren können.«

ANDREAS HANKE: Ja, aber das hat nichts mit den Strategien der Postmoderne zu tun. Mir geht es mit diesem Rückgriff auf zeitlos-klassische Elemente eher um ein „architectural storytelling“ – also darum, den Menschen Geschichten zu erzählen, damit sie sich mit ihrer Umwelt identifizieren können. In dieser Hinsicht könnten wir uns bei Filmemachern vieles abschauen. Leider beschränkt sich der architektonische Wahrnehmungskorridor jedoch gerade in Deutschland vornehmlich auf das Bauhaus. Da haben solche Ansätze keinen Raum, es zählt nur die Funktion. Überhaupt: Wäre ich nicht Architekt geworden, dann hätte ich Filme drehen wollen; so wie mein Freund, der Dortmunder Regisseur Adolf Winkelmann, mit dem ich mich oft über solche Fragen austausche.

AFACE: Den meisten Architekten ist ein solch erzählerischer oder historisierender Ansatz eher suspekt. Wie reagieren Sie auf deren Kritik?

ANDREAS HANKE: Ich verweise einfach auf die Realität. Und auf den Architekten Laurids Ortner, der schon in den 1980-Jahren eine Amnestie für den reichhaltigen Fundus der Baugeschichte gefordert hat! Ein gutes Beispiel ist in diesem Zusammenhang unser Entwurf für die Modernisierung von rund 1.000 Wohnungen in der aus den 1960er-Jahren stammenden Großsiedlung Dortmund- Scharnhorst. Als wir vor zehn Jahren mit der Planung begannen, stand rund ein Drittel der Wohnungen leer. Die damaligen Lösungen für den hochverdichteten Wohnungsbau haben also offensichtlich nicht funktioniert. Stattdessen haben wir uns bei unserem Entwurf an Louis Sullivan erinnert, der das Ornament und die klassische Gliederung auf Hochhäuser übertragen hat. Statt der vorhandenen Waschbetonplatten-Optik haben wir ein neues städtebauliches Leitbild in unterschiedlichen Gestaltungsvarianten entwickelt und umgesetzt.

»Leider beschränkt sich der architektonische Wahrnehmungskorridor gerade in Deutschland vornehmlich auf das Bauhaus.«

AFACE: Welches Konzept haben Sie dabei verfolgt?

ANDREAS HANKE: Auf Basis unseres Leitbildes haben wir ein italienisches, ein französisches und ein kalifornisches Quartier als städtebauliche Ordnung mit erzählerischer Qualität realisiert. Um eine neue maßstäbliche Gestaltung und Gliederung der Fassade zu erreichen, haben wir auch klassische Architekturelemente wie Gesimsbänder und ein Mezzaningeschoss mit Dachüberstand integriert und die Eingänge betont.

AFACE: Wurde das Konzept angenommen?

ANDREAS HANKE: Die 300 leer stehenden Wohnungen wurden schon in der Bauphase wieder bezogen, die Leute leben gerne dort. Das Quartier ist wieder ein intakter Teil der Stadt. Das funktioniert aber nur, weil wir mit erzählerischen Mitteln eine Metamorphose geschaffen haben, die es den Menschen ermöglicht, sich den Ort emotional anzueignen. Das ist im Übrigen auch die einzige Strategie, mit der sich Vandalismus spürbar einschränken lässt.

AFACE: Welche Rolle spielt in Ihrer Entwurfspraxis das Thema Wärmedämmung?

ANDREAS HANKE: Wärmedämmung ist eine zentrale architektonische Herausforderung unserer Generation; insbesondere bei Großsiedlungen führt kein Weg an einer effektiven Dämmung von Fassaden, Dächern und Kellerdecken vorbei. Nur so lässt sich eine energiesparende Gebäudehülle wirtschaftlich erstellen. Die medial geführte Diskussion über das Thema geht deshalb in vielen Bereichen vollkommen an der Realität vorbei. Hinzu kommt, dass die Industrie inzwischen Lösungen anbietet, mit denen sich auch anspruchsvolle Gestaltungskonzepte wirtschaftlich umsetzen lassen.

AFACE: Welche Systeme kommen dabei zum Einsatz?

ANDREAS HANKE: Um der Wohnungswirtschaft eine Standzeit von 25 Jahren zusichern zu können, realisieren wir meist hybride Fassaden, die aus Aluminiumverbundmaterial für den Dachrand und Wärmedämm-Verbundsystemen für die Fassade bestehen. Wir nutzen auch vorgefertigte Gesimsbänder oder Dachränder aus mineralischen Dämmstoffen und aus Polystyrol, die Teil der Wärmedämmung sind und eine neue Plastizität des Baukörpers ermöglichen. Viele Kollegen schwören zwar auf Materialehrlichkeit und bevorzugen monolithische Wände mit Hochlochziegeln. Dieses an sich sehr hehre Ziel lässt sich aber insbesondere bei Großsiedlungen wirtschaftlich nicht umsetzen. Wir können nicht alles zurückbauen und neu bauen, sondern müssen kostengünstige und gestalterisch hochwertige Lösungen für den Bestand entwickeln.

AFACE: Welche Stellenwert haben die Farbkonzepte?

ANDREAS HANKE: Farbe spielt bei unseren Entwürfen eine zentrale Rolle. Das ist bei uns nicht anders als bei Bruno Taut, der schon in den 1930er-Jahren Farbe als kostengünstiges Gestaltungsmittel für den sozialen Wohnungsbau verwendet hat. Bei unserer aktuellen Modernisierung der Großsiedlung Eicker Wiesen in Moers, wo wir die niederrheinische Landschaft ins Baugebiet zurückholen wollen, basiert unser Farbkonzept zum Beispiel auf Rottönen in Aquarellen von Ernst May aus den 1930er-Jahren. In anderen Fällen setzen wir Farbe auch schon mal als ironisierendes Element ein. Bei der Modernisierung der Breuskesbachsiedlung in Recklinghausen haben wir uns an der neuen Markthalle in Rotterdam orientiert und eine Farbgebung mit grünen und orangen Tönen entwickelt. Wichtig ist, dass sich die Farbgestaltung in das Gesamtkonzept einfügt.

AFACE: Woher nehmen Sie die Vorbilder für Ihre Farbentwürfe?

ANDREAS HANKE: Häufig bedienen wir uns bei den Bildenden Künsten und zitieren Maler wie David Hockney, Edward Hopper oder Giorgio de Chirico. Deren Farbkompositionen sind oft auf sonderbare Weise zeitlos, so dass die Entwürfe eine deutlich längere Halbwertszeit haben. Künftig wollen wir bei der Gestaltung von Fassaden auch mit Street-Art-Künstlern der Dortmunder Street Art Gallery zusammenarbeiten. Aktuell planen wir ein Flüchtlingswohnheim für die Stadt Dortmund. Mal sehen, vielleicht können wir einige dieser Ideen dort umsetzen. Grundsätzlich geht es doch darum, schöpferische Vielfalt zuzulassen, um Zuversicht und Hoffnung in die Stadt zurückzubringen. Der Architekt und Designer Ettore Sottsass meinte einmal: „Wir Designer sollten Dinge machen, die das Glück anziehen.“ Dem schließe ich mich vollständig an!

AFACE: Herr Hanke, wir bedanken uns für das Gespräch!

Andreas Hanke, Jahrgang 1962, ist seit 2000 als Architekt tätig. Ein Schwerpunkt seiner Arbeit sind hochwertige Interior-Konzepte für Restaurants. Mit seiner 2006 gegründeten Stadtbildplanung Dortmund GmbH entwickelt der Architekt Konzepte für die Modernisierung und Weiterentwicklung von Großwohnanlagen in sozialen Brennpunkten und zum Rück- und Neubau von Wohnquartieren.